Gerechtigkeit für Vitali Novacov!


Foto von der Kundgebung für die Opfer rassistischer Polizeigewalt in Berlin. Ein Mann kniet vor einem Gedenkstein. An diesem sind Fotos und ein Zeitungsartikel angebracht. Der Artikel hat die Überschrift "Wie starb Vitali N?".
© heba / Umbruch Bildarchiv

Gemeinsame Kundgebung für die Opfer rassistischer Polizeigewalt und in Gedenken an Vitali Novacov. Am April 2023 um 17 Uhr auf dem Oranienplatz Berlin.

In der Nacht des 11. Aprils wird Vitali Novacov in das Klinikum Berlin-Neukölln eingeliefert. Keine 24 Stunden später wird er dort für tot erklärt. Tod durch Erstickung. Ausgang eines Polizeieinsatzes in Deutschland.

Lückenhafte Darstellung seitens der Polizei

Das sind Tatsachen. Verifizierte Aussagen der behandelnden Ärzt*innen, belegt in Totenschein und Patientenakte. Tatsachen, die in der öffentlichen Mitteilung der Polizeidirektion Süd Cottbus vom 12. April fehlen! Unter der Überschrift „Aggressiver Mann“ wird hier salopp skizziert, wie Novacov im brandenburgischen Niederlehme von Polizisten „mit Unterstützung von Anwohnern fixiert und gefesselt“ wurde, nachdem er sich „psychisch auffällig“ auf einem Grundstück in der Karl-Marx-Straße aufhielt.

Im Zuge der kollektiven Festnahme wird Vitali Novacov ohnmächtig, muss notärztlich versorgt und in ein Krankenhaus gebracht werden

Sein Tod findet hier keine Erwähnung. Ebenso wie der Umstand, dass er bereits vor Ort aufhörte zu atmen. Und über einen weiteren Aspekt schweigt der Polizeibericht: Als Vitali Novacov in die Neuköllner Notaufnahme eingeliefert wird, haftet in seinem Gesicht, seinen Atemwegen und der Lunge feuchte Erde.

Vitali Novacov hörte unter den Händen der deutschen Polizei auf zu atmen. Vitali Novacov starb allein auf deutschem Boden. Er wurde 45 Jahre alt. Am 23. April werden wir seiner und den weiteren Opfern deutscher Polizeigewalt gedenken.

Polizeigewalt bezieht sich nicht nur auf die oft tödlichen Einsätze. Aber diese machen auf dramatische Weise uns bewusst, wie gefährlich die Polizei ist.

Allein 2022 sind mindestens 15 Menschen durch die Polizei ums Leben gekommen und umgebracht worden

In Berlin verstarb im Oktober letzten Jahres Kupa Ilunga Medard Mutombo an seinen schweren Verletzungen, die ihm die Berliner Polizei zugefügt hatte. Auch im vergangenen Monat starb im Brandenburgischen Senftenberg ein Mann durch die Schusswaffe eines Polizisten. In dem Fall wurden elf Einschusslöcher im Treppenhaus nach dem Einsatz festgestellt.

Selbst wenn Polizeigewalt jede*n treffen kann, ist es kein Zufall, dass es manche Gruppen vielmehr trifft als andere – vor allem Gruppen, die aufgrund von Rassismus marginalisiert, stigmatisiert und ausgegrenzt werden. So sehr, dass diese Gewalt normalisiert wird. Das darf sie aber niemals werden.

Novacov wurde in Moldau geboren und war im Besitz der bulgarischen Staatbürgerschaft. Die Vermutung liegt nahe, dass er Rom war. Dass sich innerhalb deutscher Polizeibehörden Rassismus und Antiziganismus durch die Strukturen graben, Racial Profiling zur gängigen Strategie und Praxis gehört, ist ein dokumentierter Tatbestand!

Antiziganistischer Rassismus in der Polizei

In dem kürzlich erschienen Zwischen-Gutachten einer Studie der Deutschen Hochschule der Polizei stimmten 17% der befragten Polizist*innen der Aussage: „Ich hätte Probleme damit, wenn sich Sinti und Roma in meiner Gegend aufhalten“, mit „ganz“ oder „eher“ zu.

Auch im Umgang mit Menschen, die sich in Krisen befinden, zeigt sich die Polizei nicht nur unfähig Konflikte zu vermeiden, sondern ist verantwortlich für diese. In vielen Fällen, hätte die bloße Abwesenheit von Beamt*innen Tode verhindern können. Vorurteile, Befugnisse und die Bewaffnung von Polizist*innen ist eine reale, allgegenwärtige, eine tödliche Gefahr.

Denn schlussendlich sind Tode wie der Vitali Novacovs keine Einzelfälle. Sie haben System!

Ohne die Polizei, wäre die Kriminalisierung, Vertreibung und Ausbeutung vieler Menschengruppen gar nicht machbar. Auf dem Rücken der Opfer schützt sie eine ungerechte Gesellschaft und somit den Status Quo.

Die derzeitigen Massendeportationen von Berlin nach Moldau, dem Geburtsland Vitalis, sind Beispiele für die systematische, kontinuierliche, staatliche Gewalt gegen Roma* in Deutschland. Schutzsuchende Roma*, die in ihrem Herkunftsland einem massiven strukturellen Antiziganismus ausgesetzt sind.

Gewaltsame Abschiebepraxis in Berlin

Unmittelbar nach Ende des Wintermoratoriums am 31. März kam es bereits zu drei Massenabschiebungen in Berlin, die nach Aussagen von Augenzeug*innen, Mitarbeiter*innen der Sammelunterkünfte und des Flüchtlingsrats Berlin an Brutalität von Seiten der Ausführenden unfassbare Ausmaßen annehmen. Türen, hinter denen die Betroffenen sich aus Angst und Panik verschanzen, werden gewaltsam mit Rohren aufgebrochen, schwerkranke Personen deportiert und Familientrennungen durchgeführt, sodass Elternteile oder Kinder allein in Deutschland zurückbleiben!

Eine Zunahme der Gewalt gegen die Schutzsuchenden nach dem offiziellen Regierungswechsel in Berlin ist zu befürchten

Wenn staatliche Organe eine ungerechte Gesellschaft erzeugen, die Polizei Gewalt ausübt und die Justiz Tatsachen verdreht muss die Zivilgesellschaft ihre Stimme erheben! Dann liegt es an uns, für Gerechtigkeit und Wahrheit einzustehen. Wir kämpfen für die Rechenschaft der Opfer von Polizeigewalt und Rassismus!

Schließt euch uns an! Justice for Vitali Novacov!

Spendenaufruf!

Der Potsdamer Polizeikontrollstelle – Initiative zur Stärkung der Grund- und Bürgerrechte gegenüber der Polizei

Im Auftrag der Angehörigen von Vitali N. soll eine unabhängige Obduktion durchgeführt werden, um die Todesumstände aufzuklären. Wir rufen zu einer Spendensammlung zur Unterstützung der Familie von Vitali N. auf, insbesondere in der Umsetzung der unabhängigen Obduktion, Anwaltskosten sowie weiterer anfallender Kosten für die Familie. Ihr könnt eure Spenden über https://www.betterplace.me/aufklaerung-fuer-vitali-n-punkt verschicken.

http://polizeikontrollstelle.de/

»Vitali von Polizisten erstickt?
Kundgebung erinnert an das Opfer eines Polizeieinsatzes
in Niederlehme«

Andreas Fritsche im »nd« vom 24.04.2023